Die Frage nach dem Horror Vacui vor der weißen Leinwand stellt sich für
Janus Hochgesand scheinbar nicht, denn wann immer er sich dieser inneren
Herausforderung annimmt, beginnt er mit einigen Farbtuben, aus denen
er zunächst die pastos-cremige Masse herausdrückt. Ein vermeintlich zufälli-
ges Muster aus Farbmasse, wenigen Strichen und Verwischungen entsteht.
Dabei arbeitet er auf dem Boden, mit einem Zugriff auf die Leinwand, der
von allen Seiten aus möglich ist und deshalb ein hierarchisches Denken und
Agieren von Anbeginn an ausschließt. Unbekümmert und ohne engmaschige
Strategie entstehen erste Spuren, indem er etwa mit seinen geriffelten Profil-
sohlen auf die Farbe tritt und sie über die Fläche laufend verteilt. Bewusstes
Agieren tritt scheinbar noch weit zurück. Erst im Laufe des begin nenden
Malprozesses, der sich ausschließlich mit der Farbe befasst, verdichtet er die
Bildfläche. Seine Herangehensweise ähnelt dabei in gewisser Weise derjeni-
gen der bedeutenden Künstler der Abstraktion nach 1945, beginnend bei der
New York School bis hin zum französischen Tachisme und dem deutschen
Informel. Dabei reichen die Facetten von Jackson Pollocks Dripping bis hin
zu den gestischen Schlieren des K.O. Götz oder auch den eher haptisch an-
gelegten Arbeiten von Gerhard Hoehme sowie den verflüssigten Farbverläufen
bei Hans Hartung. Sie alle betonten die Farbe als Ausdruckselement, das
rein aus der eigenen Wirkkraft heraus eine visuelle Dimension entfaltet, die
zwischen Abstraktion, Gestus und Materie oszilliert. In Amerika wie in
Europa war der Weg zur Abstraktion nach 1945 zunächst ein Befreiungsakt
vom Diktat des Abbildhaften, insbesondere in seiner engen Verknüpfung
mit politischen Vorgaben und Instrumentali sierungen. Das Abstreifen dieser
Fesseln holte zugleich das wieder hervor, was schon zu Beginn des Jahrhun-
derts als die Suche nach dem Geistigen in der Kunst begriffen worden war.
Bereits zu diesem Zeitpunkt war der Farbe eine eigene Ausdruckskraft
sinnlicher und emotionaler Valeurs zuerkannt worden, was die Malerei davon
löste, rein abbildend gedacht und genutzt zu werden. Beide Epochen verbanden
mit der Befreiung zur Farbe unter schiedliche Interessen. Insbeson-
dere im Abstrakten Expressionismus war es die Gestik, die als sichtbare
Spur hervortreten sollte und als rein abstrakte Handschrift des Künstlers zu
lesen war. Daneben war jedoch auch die Betonung der Farbe als Materie
vorherrschend, zum Beispiel bei Emil Schumacher und Gerhard Hoehme,
die ihrerseits auch farbfremde Materialien wie Teer, Sand, Steine et cetera
mit in die Bildfläche integrierten.
Bei Janus Hochgesand findet erneut ein anderer Prozess innerhalb der
Abstraktion statt, wenn er sich der Farbe als wesentlichem Ausdrucksmittel
zuwendet. Sein Farbauftrag, der zunächst scheinbar zufällig beginnt, wird
rasch immer dichter und erfüllt die gesamte Fläche, jedoch nicht so sehr
in dem Sinne, dass er die Farbe als pastose Masse begreift und stark haptisch
aufträgt, sondern – gänzlich gegenteilig – auch radikal wieder abträgt, indem
er mit einem Spatel diese fast vollständig von der Bildfläche abreibt. Es folgt
ein weiteres Auftragen von Farben, sodass sie an manchen Stellen Schicht
um Schicht körperlich zu werden beginnt. Man könnte versucht sein, hierin
Anleihen bei Gerhard Richter zu sehen, was sich aber letztlich doch nicht
erschließt oder gar bestätigt. Nichts von der Gestik oder Haptik bei Gerhard
Richter findet sich hier wieder, auch nicht die Vorstellung, dass hier einvormaliges Abbild zugrunde liegen könne, das dann durch Spachtel oder
Rakel verschliert worden ist. Es findet sich nichts Narratives im herkömm-
lichen Sinne.
Wie in Sedimentschichten beginnen die Farben jedoch allmählich miteinander
zu korrespondieren, bilden ungewöhnliche Farbtöne und -konstel-
lationen heraus, die sich in klug kalkulierten Nuancen gegenseitig steigern
und durch ihre eigenen Valeurs leuchten, verhallen oder Tiefe entfalten.
Es bilden sich Zonen von intensiver Farbdichte aus und jene, in denen sie
beinahe zur Nichtfarbigkeit hin verebbt. Es erwächst ein dynamischer
Bildraum, in dem die Farben zu alleinigen Akteuren werden und in ihrer
abstrakten Sprache keinerlei Narrative benötigen. Dennoch entsteht fast
unmittelbar für die Bildbetrachtenden ein emotionaler Raum, der viele
dieser Gemälde in die visuelle Nähe von Landschaftsbildern rückt und in
dem Assoziationen aus Naturerlebnissen verlebendigt scheinen. Es drängen
sich Wolkenbilder auf, tiefe Wälder, in denen dunkel das Grün der Bäume
glimmt, dann wieder erscheint ein zugefrorener See, ein galaktischer
Universalraum voll tiefem Ultramarinblau. In manchen Werken hingegen
wandelt sich die Bildgegebenheit in eine über die Jahre abgenutzte Mauer-
wand, auf der farbige Spuren und Flecken vermeintlich von vormaligen
Existenzen zeugen.
Letztlich aber greift keine dieser Beschreibungen ganz, immer bleibt
etwas offen und unbeschreibbar. Es ist das Spannende an diesen intensiven
Farbexplosionen, dass sie in ihrer Buntheit vollkommen kontrolliert angelegt
und komponiert sind, ohne deshalb jedoch zu verhärten oder gar leichter
zugänglich zu sein. Das Gegenteil scheint der Fall, denn vielmehr beschäftigen
sie Auge und Verstand des Betrachtenden unablässig, weil jede Nuance
von Farbigkeit, jede Kratz- oder Schleifspur, jede zeichnerische Linie oder
wässrig sich ausbreitende Farbemulsion eine permanente Vibration auslöst.
Es entstehen flirrende Bildräume, die gänzlich aus sich selbst heraus
evolutionieren und mit ihrem Kolorismus sich selbst ausloten oder mitunter
bis zu ihren scheinbar doch unabgesteckten Grenzen vordringen.
Es ist ein enormer Unterschied, wenn man diese Bilder teils wie sich
selbst überschreibende Existenzen begreift – Farbe über Farbe, ohne dass die
obere die untere negieren würde. Vielmehr bedarf es oftmals der zugrunde
liegenden Farbschichten, um der obersten zu ihrer eigentlichen Erscheinung
zu verhelfen und deren Prägnanz zu entfalten. Nur so entstehen Bildwerke,
die jenseits jeglichen Narrativs ausschließlich sich selbst übermitteln. Etwas
aus uralten Schichten und Zeiten dringt nach außen, schält sich aus der
Vergangenheit heraus und wandelt sie in Gegenwärtiges. Es ist diese vitale
Anmutung der Werke von Janus Hochgesand, die es zulässt, dass selbst
Spuren von Vergangenem einbezogen und überlagert werden können, um in
einer gewandelten Bildsprache diese im Jetzt zu verankern. Seine Gemälde
sind im besten Sinne ausgesprochen präsent – und doch entziehen sie sich zu
einem gewissen Grad auch wieder. Es ist vielmehr ein perpetuierendes
Changieren zwischen Dasein und Abwesendsein, wenn man zwischen den
Zonen der absoluten Materieverdichtung als Farbe und den zur Antimaterie
negierten Bildzonen pendelt. Letztlich leben nahezu alle Bildwerke von Janus
Hochgesand von dem fast nicht ergründbaren Equilibrium dieser beiden
Wahrnehmungspole. Insofern ist bei ihm – anders als bei den Informel-
Künstler*innen der 1950er- und 1960er-Jahre – auch nicht das Gestische an
sich entscheidend, nicht die Handschrift des Malers, auch nicht das Mate-
rielle der Farbe, sondern die Entität des Bildes entsteht gleichsam als Realität
sowie als Vision und zwar als Konfrontation zwischen dem Faktischen des
Bildes an sich und der assoziativen, zugleich emotionalen Sublimierung
des Werkes als einer Wirkungsmacht. Anders als es noch Wassily Kandinsky
1912 intendierte, als er von dem „Geistigen in der Kunst“ sprach, geht es
Janus Hochgesand um eine sehr authentische momenthafte Vergegenwärtigung
von Ereignissen und Emotionen, die er in seinen oftmals dynamischen, mitunter
poetischen und dann wieder elegischen Gemälden zum Ausdruck bringt, die
aber niemals diesen spirituellen Absolutheitsanspruch von Kandinsky erhe ben.
Vielmehr konzentrieren sie sich auf eine mehr auf das Hier und Jetzt angelegte
Selbstverständlichkeit, die zugleich von großer innerer Tiefe und enger Anver-
wandtheit zu den Dingen des Alltags und zur Natur zeugt. Es mag nicht zu
weit hergeholt sein, wenn man darin ein synästhetisches Denken im Sinne
Kandinskys in den Zwischentönen zum Dasein und zur eigenen Gefühlswelt
liest, das es ermöglicht, aus der reinen Subjektivität herauszutreten und allge-
mein verständlich zu sein. Feelings are facts titelte eine seiner Aus stellungen
im Jahr 2016. Das mag verdeutlichen, wie wesentlich für Janus Hochgesand die
emotionale Sprache sein bildhaftes Denken bestimmt.