An der Karlsruher Kunstakademie bin ich Janus Hochgesand zum ersten Mal begegnet. Wir waren gemeinsam in der Klasse von Andreas Slominski, was unsere Arbeit jeweils sehr geprägt hat. Kurz nach der Antrittsparty der Vertretungsprofessur von Anselm Reyle wechselte Hochgesand dann zu Tobias Rehberger an die Frankfurter Städelschule. Dort sind wir uns wieder begegnet, und für ihn begann bereits der Aufbruch, weg von der Skulptur zum Bild. Einmal verbrachte der Künstler einen längeren Studienaufenthalt in Mexico City. Den Einfluss der leuchtenden Farben findet man heute auf seinen Bildern wieder. Den Pinsel hat Hochgesand dennoch nicht in die Hand genommen. Seine Bilder entstehen mit körperlichem Einsatz in der Horizontalen. Die Arbeit kommt einem performativen Akt gleich, der die Farbe ins Werk bringt. Hochgesand sitzt nicht geduldig vor einer Staffelei und malt, er wirft das Material auf den Boden, wo das Gemälde entsteht.
Für diesen Prozess gibt es weder Vision noch Skizze, vielmehr sind Intuition und Impulse das mentale Werkzeug des Künstlers. Wie beim Schachspiel, so beschreibt er es im Interview mit Julia Voss,1 stellt er seine Werkstoffe auf und beginnt mit dem ersten Zug – am Ende des Spiels liegt ein fertiges Bild vor.
Für seine Ausstellung im Ludwig Museum Koblenz hat sich Janus Hochgesand einen spanischen Titel überlegt: Muy mucho. Es ist ein Wortspiel, dessen Lexeme im spanischen Sprachgebrauch beide als Adverb dienen, um eine Steigerung auszudrücken. Wortwörtlich ins Deutsche übersetzt wäre darunter „sehr viel“ zu verstehen – also ein besonderes Quantitäts- oder Qualitätsverhältnis. Mit diesem Anspruch an Intensität geht Hochgesand an die Malerei heran. Er bezeichnet seine Gemälde als „High Intensity Paintings“; Bilder, deren Form und Inhalt verdichtet sind und eine hohe Konzentration von Bearbeitungszeit und Material aufweisen.
Der Künstler lässt die Schichten seiner Arbeit sichtbar werden, zeigt Abrieb und Auftrag, präsentiert die Bildfläche als Zone einer verdichteten Überarbeitung. Janus Hochgesand malt abstrakte expressionistische Bilder, auf deren Oberfläche seine intensive, körperliche Arbeitsweise Hand- und Fußspuren hinterlässt. Strukturen, Texturen und Pigmente sind der Kern der Arbeit. Farbe ist für ihn ein Gestaltungselement, das er fast urtümlich mit Händen und Füßen und Werkzeugen wie Besen oder Spachtel aufträgt. Schuhe und Handschuhe dienen dem Maler als Mittel, die Leinwand zu traktieren.
Diese kräftige und gestische Bearbeitung erzeugt markante Abdrücke, Spuren und Schraffuren auf dem Bild. Der Künstler trägt aus der Tube oder dem Eimer die Acrylfarbe oder gar das reine Farbpigment auf. Über die Leinwand hinweg drückt, reibt, schmiert, zieht und windet er sein Farbmaterial. Er erzeugt Überlagerungen von Farbschichten durch das Falten und Kneten des Stoffes und kehrt Pigmenthaufen auf der Fläche hin und her. Gezielt wird die poröse Oberfläche weiter mit reinem Farbpigment gewürzt, sodass kräftige Akzente wie Leuchtspuren unter und zwischen dunkleren Farbflächen gesetzt werden. So entstehen Fülle und Leere, Helligkeit und Dunkelheit als impressionistische Farbstimmungen auf dem Bildträger. Während die dunklen Flächen Ferne und Ruhe ausstrahlen, erscheinen die leuchtenden Höhen wie grelle Farbsplitter in unmittelbarer Nähe, die aus der Distanz betrachtet besonders intensiv wirken.
Die Malerei von Janus Hochgesand macht ihre Inspiration selbstbewusst deutlich: Die Ästhetik der Gemälde greift den Abstrakten Expressionismus der New Yorker Schule der 1950er-Jahre zusammen mit der europäischen Informel-Bewegung auf und führt beide Interessen auf zeitgenössische Weise zusammen. Von Elaine und Willem de Kooning über Joan Mitchell bis zu den abstrakten Bildern von Gerhard Richter blitzen die visuellen Verwandtschaften auf.2 Mit seinem Drip-Painting, dem Besenschwung, den lapidar coolen Sprüheffekten und den Körperabdrücken erweist Hochgesand seinen neo-avantgardistischen Vorbildern die Ehre. Aber natürlich malt der Künstler nur für sich, denn er hat seinen eigenen Weg gefunden. Gönnen wir uns trotzdem die Freude des vergleichenden Sehens und rufen Werke von Christopher Wool, Julian Schnabel oder Sterling Ruby und Joe Bradley vor dem inneren Auge auf. Auf diesem Brett der internationalen Kunst ist
Hochgesand ein Mitspieler. Wie gelingt es, dabei den eigenen Maßstab der Veränderung und Befreiung zu finden? Der Künstler geht nicht von Zeichen oder Gegenständen aus, um sein Sujet zu finden. Er startet gegenstandslos und ihm gelingt mit seiner Kunst die Gestaltung eines Bildes, das der Wahrnehmung am Ende sogar Illusionen vorspielt. Hochgesand hat sich auf das hohe Niveau der Abstraktion vorgearbeitet und einen individuellen Weg eingeschlagen, um den eigenen Stil zu finden. Der Künstler setzt die Farbe als Material so ein, dass seine Bilder haptische Qualität erhalten, aber trotzdem leicht und transparent wirken. Helle und leuchtende Farbtöne dominieren den Farbraum, die raue, weiße Grundierung schafft einen luftigen Hintergrund. Mit gebrochenen Farbtönen erzeugt der Künstler einen visuellen Tiefenraum, in dem man sich auf eine distanziert meditative Betrachtung mit nahezu transzendentaler Stimmung einlassen kann. Die Malerei entsteht als Performance, weshalb Janus Hochgesand seine Bilder auch zusammen mit Musiker*innen aufführt. Der Schaffensprozess wird zu einem synästhetischen Erlebnis für das Publikum, ähnlich wie Yves Klein seine Arbeit mit eingeladenen Musikerinnen zur Aufführungbrachte. Hochgesand hat innerhalb seiner jüngsten Ausstellungen sogar Ateliersituationen eingerichtet, um vor kleinem Publikum im Haus sowie im Livestream auch über das Internet die eigene Arbeitsweise sichtbar zu machen. Im Zusammenspiel mit den Kammer musiker*innen des Nichiteanu Trios wurde der Malprozess als Komposition aus Klang und Farbe inszeniert. Die Dynamik dieser transdisziplinär als Konzert vorgeführten Malerei wird so sicht- und hörbar.
Malerei als Confluens
In Koblenz habe ich Janus Hochgesand wieder getroffen und wir besuchten gemeinsam die Sammlungspräsentation im Ludwig Museum. Hier, wo Rhein und Mosel zusammenfließen, lässt sich die Metaphorik des confluens für die Kunst kaum besser nutzen. Wir danken dem aufgeschlossenen Interesse von Beate Reifenscheid, der Direktorin des Ludwig Museum Koblenz, die unsere Idee so großzügig aufgenommen hat. Sie bietet dem Künstler die Möglichkeit, in seiner Heimatstadt und inmitten der herausragenden Sammlung die Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte räumlich in Szene zu setzen. Die Ausstellung im Ludwig Museum Koblenz ist als Intervention inmitten des Sammlungsbestandes eingerichtet. Das Museum besitzt eine der wichtigsten Sammlungen für die Kunst des 20. Jahrhunderts in Deutschland mit Werken der europäischen und amerikanischen Avantgarde der Nachkriegszeit. Ein besonderer Schwerpunkt bildet die von Peter und Irene Ludwig ab den 1960er-Jahren zusammengetragene Sammlung, deren in Koblenz präsentiertes Konvolut eine wichtige Übersicht der deutschen und französischen konzeptuellen Malerei enthält. In der Ausstellung der per manenten Sammlungsbestände finden sich Schlüsselwerke der Pop-Art, des Informel und der École de Paris.
Im Kontext der Sammlungspräsentation des Ludwig Museum Koblenz werden alternierend Interventionen jüngerer zeitgenössischer Künstler*innen gezeigt. Gerade im Verhältnis zu den Kanonbildungen der Kunstgeschichte, die sich in Sammlungsbeständen darstellen, bietet die Konfrontation der Werke von modernen Meistern und den Stars der Nachkriegsavantgarde mit zeitgenössischen Positionen eine Chance für die Revision des Blicks auf die festgelegten Perspektiven der Kunstgeschichte. Mit Janus Hochgesands Ausstellung Muy mucho soll sich in der Reihe der Interventionen der Perspektivenwechsel in der Ausstellung der permanenten Sammlungsbestände fortsetzen. Der Begriff Intervention bedeutet in diesem Fall, ausgehend von der Arbeit Janus Hochgesands, erneut die gezielte Auseinandersetzung mit zentralen Positionen und Stilrichtungen der Moderne und der Malerei verschiedener Ansätze der Abstraktion. Für die Intervention hat sich der Künstler intensiv mit Vorbildern und künstlerischen Verwandtschaften im Bestand der Sammlung auseinandergesetzt. Das Resultat dieses relationalen Selektionsprozesses führt wiederum zur Herausforderung des Publikums:
Wie wird es aufgenommen, wenn sich junge Kunst der Macht der Kunstgeschichte stellt und die Konfrontation sucht? Janus Hochgesand hat sich aus der Sammlung des Ludwig Museum Koblenz Werke für sein Ausstellungsvorhaben ausgesucht, die von der Moderne bis in die Gegenwart reichen und die Tendenzen der Abstraktion und der konzeptuellen Malerei repräsentieren. Dazu zählen unter anderem Werke von Pablo Picasso, Asger Jorn, Willem de Kooning, Jackson Pollock, Robert Rauschenberg, Pierre Soulages, K.O. Götz, Gerhard Hoehme. Insgesamt trifft eine Auswahl von zwölf neuen Gemälden Janus Hochgesands auf ausgewählte Werke der Sammlung. In den Kabinetträumen stehen sich die Werke so gegenüber, dass Blickachsen und Querbezüge entstehen. Brüche und Kontinuitäten der Stil- und Materialgeschichte der Malerei werden dabei in eine neue, mit Überraschungen versehene Ordnung gestellt.
1 Siehe diese Publikation, S. 69–72, hier S. 72.
2 Vgl. Bice Curiger (Hg.), Birth of the Cool. American Painting from Georgia O‘Keeffe to
Christopher Wool, Ausst.-Kat. Deichtorhallen Hamburg, Kunsthaus Zürich, Ostfildern 1997;
Kay Heymer, Susanne Renner (Hg.), Le grand geste! Informel und Abstrakter
Expressionismus 1946
–
1964, Ausst.-Kat. Museum Kunst Palast, Düsseldorf, Köln 2010.